»Es ergibt keinen Sinn«
Für den AfD-Finanzexperten ist die Mehrwertsteuersenkung nicht zielführend
Interview mit Albrecht Glaser von Peter Stützle
Die Bundesregierung will so viel Geld wie noch nie für ein Konjunkturprogramm ausgeben, um die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen. Halten Sie dieses Finanzvolumen für gerechtfertigt?
Es wird um 300 Milliarden Nettoneuverschuldung gehen, ungefähr drei Viertel eines Jahreshaushaltes des Bundes. Man würde diese Höhe etwas anders beurteilen, wenn das Programm wenigstens zielgenau wäre und für die Wiederbelebung der Wirtschaft angemessen wirken würde. Aber beides ist nach meiner und unserer Erkenntnis nicht der Fall.
Größter Posten ist die Senkung der Mehrwertsteuer im zweiten Halbjahr 2020, die den privaten Konsum anregen soll. Erwarten Sie, dass das funktioniert?
Nein, diese Vorgehensweise ist völlig misslungen. Zunächst darf man skeptisch sein, inwieweit die Umsatzsteuersenkung überhaupt weitergegeben wird. Damit ist schon der Leitgedanke nicht erfüllt. Dann der Zeitraum von einem halben Jahr, ein Bürokratiemonster. Ich habe mit vielen Steuerberatern geredet, die mir erzählt haben, was sie gerade Tag und Nacht machen. Sie versuchen in den Unternehmen jetzt alles umzustellen, und gegen Ende des Jahres müssen sie wieder alles umstellen. Auch der Zeitpunkt ergibt keinen Sinn. Jetzt geht es nicht um Impulse für die Nachfrage, jetzt geht es um die Wiederauferstehung und die Gesundung von scheintoten oder kranken Unternehmen – und dazu trägt die Mehrwertsteuersenkung für diese kurze Zeit überhaupt nicht nennenswert bei.
Ein weiterer großer Posten in dem vorliegenden Paket ist der einmalige Kinderbonus von 300 Euro für jedes Kind. Er soll, neben der Stärkung der Kaufkraft, auch eine Anerkennung für die Beschwernisse sein, die Eltern wegen der geschlossenen Schulen und Betreuungseinrichtungen hatten. Können Sie sich damit anfreunden?
Sie sehen schon an der Prädikatisierung “Anerkennung für Eltern”, das ist so wie die Anerkennungsrente eigentlich PR, man könnte auch Populismus sagen. Da geht es um die Verbreitung guter Stimmung der Art: Wir in der Regierung denken an euch. Zum Ziel dieser ganzen Aktivität, nämlich die Wirtschaft wieder anzukurbeln, Arbeitsplätze zu erhalten, die Unternehmen stark zu machen, trägt das nichts bei. Dazu sind die Beträge viel zu niedrig. Mir liegen weiß Gott Familien mit Kindern sehr am Herzen, ich habe selber vier, und wir haben als AfD ein Verhältnis zum Thema Generationen und Familien, das von keiner anderen Partei zu übertreffen ist. Aber diese Maßnahme hat in dem Kontext, um den es jetzt geht, die Wirtschaftsbelebung, eine marginale bis gar keine Wirkung.
Gilt das auch für den Steuerfreibetrag für Alleinerziehende, der für dieses und das nächste Jahr auf gut das Doppelte steigen soll?
Das ist in der Tat das Gleiche. Auch das ist zeitlich befristet. Da sehen Sie, dass es wirklich sehr ums Publikum und die Galerie geht. Wenn die Entlastung für die Alleinerziehenden eine strukturelle Frage ist, die man angehen muss, dann muss man das dauerhaft machen und damit dieser Lebenssituation Rechnung tragen. Aber jetzt als ein Art Platzpatrone das zeitlich begrenzt zu machen, entlarvt sich selber als Populismus und nicht als Maßnahme zur Wiederankurbelung der Wirtschaft.
Einige Maßnahmen sollen direkt Unternehmen helfen. So sollen sie bei der Steuer Verluste in diesem Jahr besser mit Gewinnen aus früheren Jahren verrechnen können, außerdem sollen sie Investitionen besser abschreiben können. Würden Sie das als hilfreich bezeichnen?
Diese Maßnahmen sind richtig und werden von uns nachhaltig begrüßt. Wir haben vor Wochen, als das erste Corona-Steuerpaket durch den Finanzausschuss ging, genau diese Maßnahmen vorgeschlagen. Ein Elf-Punkte-Programm mit vielen Punkten, die Sie jetzt im Programm der Bundesregierung finden. Das ging, wie es häufig ist mit dieser eingeschränkten Diskussion und eingeschränkten Offenheit im Finanzausschuss, wir konnten es nicht durchsetzen. Das ändert nichts daran: Das ist unmittelbare Hilfe für die Liquidität der Unternehmen, und zwar ganz zielgenau im Kontakt mit der Finanzverwaltung, die das kann, ohne Umlenkung über die KfW oder sonstige Zuteilungs-Administrationen. Man hätte es nur größer machen müssen. Die eingezogene Grenze von fünf beziehungsweise zehn Millionen Euro ist für viele größere Unternehmen zu niedrig.
Die Bundesregierung hat den Anspruch, mit ihrem Konjunkturpaket die deutsche Wirtschaft zugleich zukunftsfähiger zu machen. Vorgesehen ist eine deutlich höhere steuerliche Forschungsförderung. Entspricht die Ihren Vorstellungen?
Wir haben bereits das Gesetz zur steuerlichen Forschungsförderung, das am 1. Januar 2020 in Kraft getreten ist, stets positiv begleitet. Man hat damals zurecht die Frage diskutiert: Machen wir es mit einer eigenen Agentur, die testiert, ob die einzelne Maßnahme im Unternehmen förderungswürdig ist, oder wäre es nicht sehr viel intelligenter, bei den Gewinnsteuern etwas zu tun, also die Spielräume für die Unternehmen zu erhöhen, damit sie unter ihrem eigenen wirtschaftlichen Dach ihre Schwerpunkte stärker in Forschung und Entwicklung lenken. Das wäre der viel intelligentere und bürokratisch sehr viel einfachere Weg gewesen. Sie stehen bei dem, was wir jetzt machen, bei der EU als Bittsteller, ob wir gegen das Beihilfeverbot verstoßen, und ich kann Ihnen mitteilen: Bis zu dieser Stunde gibt es noch keine Genehmigung von der EU, dass wir das überhaupt dürfen. Das heißt, das hängt alles und wird gar nicht kurzfristig wirksam sein.
Zum deutschen Konjunkturpaket werden noch die Maßnahmen der EU kommen, um die derzeit gerungen wird. Befürchten Sie, dass Deutschland am Ende überfordert sein könnte?
Was die EU jetzt macht, hat eine Rückwirkung auf den deutschen Haushalt. Wir hatten 2017, 2018 unter 20 Milliarden Euro an EU-Umlage. Die wird bis über 50 Milliarden Euro steigen. Das Geld fließt aber ab in andere Volkswirtschaften und nicht in die deutsche. Wo soll da ein Belebungseffekt für die deutsche Wirtschaft sein? Da werden uns dauerhaft Lasten aufgebürdet, so dass man sich gar nicht vorstellen kann, wie man jemals wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen kann.
Zumindest steht Deutschland mit seiner Finanzkraft im internationalen Verleich gut da.
Wir haben entgegen dem, was der Finanzminister immer sagt, mitnichten gut gewirtschaftet. Denn wir sind in der Finanzkrise auf die gesamtstaatliche Rekordverschuldung von über zwei Billionen Euro gekommen, und wir sind dort noch immer. Es sind nahezu null Schulden getilgt worden in den letzten zehn Jahren. Lediglich der Quotient, also das Verhältnis von gesamtstaatlichen Schulden zum Bruttoinlandsprodukt hat sich verbessert, von 80 auf 60 Prozent. Nur davon spricht der Finanzminister. Gemessen an Ländern wie Italien und Frankreich stehen wir damit etwas besser da. Aber von einer Ausstattung Deutschlands, um ein solches Paket zu schultern, kann nicht die Rede sein. Vor allen Dingen: Die meisten Mittel sollen zum innerstaatlichen Ausgleich verwendet werden. Der Bund will den Gemeinden einen Teil der Gewerbesteuerausfälle ersetzen, will den Ländern einen Teil der Umsatzsteuerausfälle ersetzen. Diese Allmachtsphantasie entbehrt eigentlich jeder finanzwirtschaftlichen Grundlage. Und vor allem: Sie entfaltet keine Wirkung für eine wirtschaftliche Belebung.
Das Gespräch führte Peter Stützle.
Albrecht Glaser gehört dem Bundestag seit 2017 an, ist finanzpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und Obmann im Finanzausschuss.